Elternzeit Radreise : Mut zur Pause (Story 10)

Wir haben unser lang ersehntes Ziel Eckernförde erreicht. 34 Tage, 17 Etappen und 3 Bundesländer haben wir dafür gebraucht. Ein echtes Abenteuer mit allen Aufs und Abs liegt hinter uns. Wir sind glücklich aber auch müde. Sehr sogar.

Es ist schon faszinierend, wie die Summe aller Anstrengungen einen dann erst so richtig im Ziel umhaut. Solange wir auf dem Weg waren, erlaubten wir uns es wahrscheinlich einfach nicht, unsere Müdigkeit anzuerkennen. Die Fahne wird gegen die meisten Widerstände hochgehalten und das Ziel wirkt wie ein Magnet, der zu Ende hin auch noch stärker zieht und die Motivation weiter befeuert. Man macht einfach.

Als wir am neunten Mai dann schließlich in Eckernförde einrollten, waren wir zunächst euphorisiert vom Anblick des Meeres, posierten in Sieger-Pose für Fotos, für die wir sogar das erste Mal auf der Reise das kleine Stativ auspackten. Das Wetter begrüßte uns eben so warm und herzlich wie unsere Freunde. Wir verliebten uns sofort in deren frisch und stilvoll eingerichtete Wohnung. Gemeinsam stießen wir auf unseren Erfolg an – alles war schön.

Erschöpfung als Signal

Und dann passierte es in den darauf folgenden Tagen allmählich: Wir ließen die Fahne herunter sacken, schalteten den Vorwärts-Modus ab, kein Magnet zog uns mehr irgendwo hin. An die Stelle der Sonder-Reise-Energie trat eine allumfassende, tiefe Erschöpfung. Unsere Stimmung war wechselhaft, wir alle wurden mehr oder weniger krank und auch die malerischsten Landschaftsbilder konnten uns nicht nachhaltig erfreuen.

Ganz eindrücklich war unser Zustand am Umgang mit den Kindern abzulesen. Ich gebe es zu: wir waren beizeiten ungerecht und abweisend, unsere Zündschnur kurz, was insbesondere unsere Große ausbaden musste. Ich hasse das; wenn ich mich quasi von außen dabei beobachten kann, wie ich komplett an meinen eigenen Erziehungsidealen scheitere. Das einzig Gute daran: Wenn sich das häuft, dann ist es ein klares Signal für mich, dass Handlungsbedarf besteht und die Situation sich baldigst ändern muss.

Abenteuer? Ja! Abenteuer ohne Ende? Nein.

Also, das ist schon eine knifflige Sache mit den eigenen Erwartungen und Vorstellungen, die man sich im Vorhinein über die Dinge so macht. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir nach unserer Ankunft das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen, vor lauter Freude und Stolz. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir eine total entspannte Urlaubszeit im Norden und an der Ostsee verbringen; uns ein nettes Ferienhäuschen nehmen, die Füße hoch und die Strapazen einfach zur Seite legen.

Ich hatte mir vorgestellt, dass wir danach den viel gelobten Ostseeküsten-Radweg befahren und bei sommerlichem Wetter gemütlich in unserem Zelt wohnen werden. Auf jeden Fall hatte ich mir felsenfest vorgestellt, dass unser Fortbewegungsmittel Nummer eins das Fahrrad bleiben wird. Ist ja schließlich eine Familien-Radreise, so wie es auf unseren gedruckten Postkarten steht…;-)

Wir brauchten eine echte Pause

Was ich mir vorher einfach nicht vorstellen konnte ist, wie es sich anfühlt, fast sechs Wochen am Stück mit dem Fahrrad und zwei kleinen Kindern unterwegs gewesen zu sein. Erst jetzt weiß ich, dass unser Unterfangen tatsächlich mutig war – wie es uns so oft gesagt wurde. Erst jetzt weiß ich, dass wir dieses Projekt wirklich ein Abenteuer nennen dürfen, das die Analogie zu einer Bergbesteigung erlaubt, mit allem was dazu gehört: Grenzwertige Anstrengungen, Glücksmomente, Irrwege, Lichtungen, Zwangspausen, unfassbar schöne Ausblicke und ständige Anpassungen an sich wechselnde Umstände. All das heißt auch, dass ein Abenteuer eine zeitliche Begrenzung hat, je nachdem, wie voll der individuelle Ressourcen-Koffer ist natürlich.

Irgendwann ist immer eine echte Pause nötig. Sonst geht die Rechnung nicht auf. Wenn Reinhold seinerzeit einen Achttausender erklommen hat, ist er auch nicht sofort zum nächsten Gipfel aufgebrochen, sondern ist erst einmal wieder abgestiegen, ins Tal, nach Hause zum regenerieren und Kaiserschmarrn essen, um dann aus frischer Kraft heraus neue, wilde Expeditionen zu planen.

Rückzug in die Komfortzone

Es brauchte für uns also ein intensives Gespräch – möglich dank unseren lieben Freunden, die unsere Kinder auf dem Spielplatz bespaßten – um anzuerkennen, dass wir übelst platt sind, dass das auch logisch und in Ordnung ist und nicht im geringsten bedeutet, dass das ganze Ding ein Fehler war sondern einfach nur ein großes Abenteuer, von dem wir jetzt eine ebenso große Pause brauchen und nicht einfach weiter fahren können. Besonders für mich war es schwer, mich von meinen Vorstellungen zu verabschieden. Ich musste sie sogar mit ein paar Tränen betrauern ehe ich einen klaren Blick dafür bekommen konnte, was die nächsten Schritte sein können.

Ein neues Kapitel

Es stellte sich heraus, dass eine echte Pause für uns nur an einem Ort möglich ist: in Köln. Das hätte ich NIE gedacht. Aber als Flo diese Möglichkeit erwähnte, stellte sich nach anfänglichem Widerstand ein extrem gutes Gefühl der Erleichterung und Stimmigkeit ein. Vor allem aus zwei Gründen: zum einen wohnen wir hier bei meinen Eltern, die große Freude daran haben, sich ausgiebig um unsere Kinder zu kümmern und uns damit den so notwendigen Regenerationsraum schaffen können.

Zum anderen macht dieser Standort auch Sinn weil sich unsere nächste Station in der Nähe von Marburg befindet, wofür wir das Auto abholen und ein bisschen umpacken wollen. Wir haben vor, fast einen Monat in der Gemeinschaft einer sehr guten Freundin von mir zu wohnen. Wir schließen also mit leicht ambivalenten Gefühlen aber dennoch feierlich das Kapitel Familien-Radreise ab und schlagen dafür ein neues auf. Noch weiß ich nicht, wie es heißen wird :-).