Pilgern auf dem Olavsweg

Was für ein Bild hast du vor Augen, wenn du an Pilgern denkst?

Vielleicht siehst du eine Jacobsmuschel oder auch Hape Kerkeling, der auf dem Buchcover von „Ich bin dann mal weg“ mit Mütze und Wanderstock posiert. Vielleicht sogar Mönche, die nach jedem Schritt auf die Knie fallen, um mit der Stirn den Boden zu berühren. Bis 2013 ging es mir zumindest so, ergänzt durch eine Vorstellung von meiner ehemaligen Kunstlehrerin in der fünften Klasse, die plötzlich für ein Jahr weg war, weil sie mit ihrem Esel (!?) den Jakobsweg gehen wollte. Schräg fand ich das.

Warum ich mich auf den Weg machte

Es brauchte eine Krise im Studium, um mich mal so wirklich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich wusste, ich muss mal raus. Raus und weg und alleine sein, um mir darüber klar zu werden, welcher Weg wirklich meiner ist. Die Alltags-Mühle anhalten und mich lösen aus allen Netzen, in denen ich hing. Ein starkes Bedürfnis war das. Während meiner Recherchen entwickelte ich recht rasch eine gewisse Unlust, den Jakobsweg für meinen Weg-Findungs-Trip zu wählen. Ich schloss aus seiner massiven Präsenz im Internet darauf, dass sehr, sehr viele Menschen diesen Weg gehen. Ich stellte mir vor, wie ich ständig in Situationen komme, in denen ich Smalltalk halten oder mein Gehtempo anpassen muss, um von jemandem Abstand zu bekommen. Und das passte einfach nicht zu meinem damaligen Bedürfnis nach Selbstbestimmung.

Eine schicksalshafte Entdeckung

Irgendwann stieß ich auf den Olavsweg, dessen norwegische Haupt-Route von Oslo bis nach Trondheim führt. Es machte Klick. Dieser Weg war im Internet so gut wie gar nicht vertreten. Nur die offizielle Seite gab Informationen. Nur einen einzigen Pilgerführer gab es! Ich liebe so etwas: kaum Entscheidungen, die ich treffen muss – herrlich! Außerdem – ich gebe es zu – gefiel mir der Gedanke, etwas Besonderes zu machen.

Vorbereitungen und Training?

Ich bin Sportwissenschaftlerin aber das bedeutet (leider) nicht automatisch, dass ich ständig sportlich bin oder gut in Form. 2013 war ich alles andere als durchtrainiert oder eine erfahrene Wandersbraut. Ich hatte keine Wanderschuhe, keinen Rucksack, keine Outdoor-Kleidung und vor allem keine Ahnung. Man kann wirklich sagen, dass ich dieses Projekt als blutige Anfängerin anging.
Das PDF-Kartenmaterial von der Olavsweg-Seite druckte ich mir im Copyshop aus; ein dicker Packen bunt bedruckter Din A 4-Blätter, zunächst nichtssagend für mich. Einen Monat später sollten sie meine täglichen, dicht ans Herz gewachsenen Begleiter werden.

Sicherheit und Gepäck

Meine Eltern bestanden darauf, dass ich ein SPOT-Satellitengerät mit mir trage. Es hatte einen Notfall-Button, der ihnen relativ ruhiges Schlafen ermöglichen sollte. Ich kaufte nach und nach alles an Pilger-Survival-Equipment, dass ich mir aus diversen Internet-Packlisten zusammen suchte. Eine Botschaft schrien mir alle Pilger-Profis im Netz ins Gesicht: So wenig und so leicht wie möglich! Also stand ich minutenlang vor Regalen im Drogeriemarkt und wog buchstäblich verschiedene Sonnencremes und Deos gegeneinander ab. Damals kam ich mir lächerlich vor, später war ich meinem peniblen Vergangenheits-Ich sehr dankbar. Denn: Jedes Gramm zählt (!), schreie ich dir jetzt entgegen.

Und dann?

Ich flog Ende Mai nach Oslo. Ich fuhr jedoch mit dem Zug noch bis nach Hamar hoch. Warum? Mein Pilgerführer startete dort und zu dem wollte ich nicht viel länger als einen Monat unterwegs sein, bzw. für einen Monat hatte ich die Kohle. Norwegen ist verflucht teuer – einer der wenigen aber großen Nachteile des Olavsweges.
Ich pilgerte also am 2. Juni in Hamar los und kam am 29. Juni in Trondheim an. Was alles dazwischen geschah ist Stoff für viele weitere Beiträge. In diesem will ich vor allem sagen:

Es gibt einen Olavsweg!

Und er ist eine ganz besondere, nicht überlaufene Alternative für alle diejenigen, die viel Wert auf Me-Time, und menschenleere Natur legen und Lust auf skandinavischen Flair haben. Natürlich sind auf dem Olavsweg auch andere Menschen unterwegs. Das hängt sehr davon ab, ob man zur Haupt- oder Nebensaison pilgert. Es wird aber in der Regel nie Ausmaße annehmen wie auf den Hauptstrecken des Jakobsweges, deren Charme vor allem die zahlreichen, allgegenwärtigen Begegnungen mit Menschen aus aller Herren Länder ausmachen.

Du musst nicht bis zur Rente warten

Auch will ich sagen, dass es machbar ist. Für viele mit denen ich darüber spreche fällt eine Pilger-Wanderung in die Kategorie „Mach ich irgendwann mal wenn ich Zeit habe, trainiert genug dafür oder in Rente bin“. Es ist aber auch möglich, z.B. für eine Woche, ein paar Tage einen kürzeren Abschnitt zu pilgern. Jakobswege ziehen sich durch ganz Deutschland, sodass man vielleicht sogar direkt von der eigenen Haustür aus losgehen kann.
Solange die Pandemie das touristische Übernachten untersagt, empfehle ich, dich lesend zu inspirieren. Der Minimalismus- und Wander-Blogger/Autor Christof Herrmann (den ich tatsächlich beim Wandern in den Alpen kennengelernt habe) hat ein Buch über seine Pilgerwanderung von seinem Zuhause in Nürnberg bis nach Santiago de Compostella geschrieben.

Diese Wanderung war ein Gamechanger

Diese Pilgerreise war eines der prägendsten Erlebnisse meines Lebens und bereichert mich auch noch acht Jahre später. Ihr werde ich noch weitere Artikel widmen. Meine Erfahrung zeigt, dass Pilgern auch ohne spezielle Vorerfahrung möglich ist, als totaler Pilger-Dummy. Es mag abgedroschen klingen aber erst der Weg lehrte mich alles, was ich wirklich wissen musste.