Sehr wahrscheinlich ist dir der Begriff in den letzten Jahren unter die Nase gekommen. Eigentlich machen mich manche Trend-Erscheinungen irgendwann müde, doch Hygge kriegt mich jedes Jahr im Herbst aufs Neue.
Das war immer schon so – auch schon bevor ich diesen Begriff kannte. Hygge bringt mein Gefühl einfach auf den Punkt. In Zeiten, in denen wir mehr Zeit zu Hause verbringen müssen, als uns vielleicht lieb ist, lohnt sich ein frischer Blick auf diese köstliche Verherrlichung der Gemütlichkeit.
Was ist Hygge? Fragen wir den Experten
Meik Wiking – ja, er heißt wirklich so, der Glückliche – hat 2016 ein Buch über dieses kuschelige, total dänische Phänomen geschrieben. Das Buch liegt, während ich schreibe, neben mir. Hygge – Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht steht da drauf. Der gute Meik ist CEO des Kopenhagener Instituts für Glücksforschung und muss es also wissen. Hygge ist nicht ein einziges Ding, sagt er. Es ist ein Lifestyle-Phänomen, das sich aus vielen, hübschen Bausteinen zusammensetzt. Hygge ist Gemütlichkeit, Gemeinschaft, Geborgenheit, Genuss, Gelassenheit, Gegenwart.
Etwas konkreter:
Hygge ist Kerzenschein, leckeres Essen zubereiten und es mit deinen Freunden genießen, eine Tasse Tee auf deinem Lieblingssofa bei chilliger Musik schlürfen, Kissen und Decken, ein Schafsfell über dem Ohrensessel vorm Kamin, warme Socken und bequeme Pullis, der Spieleabend mit der Familie…
Hygge fließt aber auch jenseits der eigenen vier Wände in verschiedene Lebensbereiche hinein. Manche Dänen machen auf dem Absatz kehrt, wenn sie beim Eintreten bemerken, dass ein Café nicht „hyggelig“ genug ist. Fast 50 % aller Dänen zünden täglich Kerzen an. Auch bei der Arbeit!
Macht Hygge glücklich?
Diese Frage ist berechtigt, wenn man bedenkt, dass Dänemark im Glücksreport der Vereinten Nationen bisher immer auf dem ersten Platz landete (mit einer Ausnahme: Platz 3, 2015. Ja, was war da denn los?). Auch andere Studien kommen zu dem Ergebnis: Die Dänen haben es gepachtet, das große Glück. Glücksforscher verdächtigen eine Reihe von Faktoren als Erklärung. Laut Meik Wiking sind viele davon ausgesprochen hyggeliger Natur…
Spätestens 2017 ist die Hygge-Welle nach Deutschland geschwappt. Stefan vom Skandiavien-Blog NordicWannabe berichtet in einem extra Hygge-Blog über hyggelige Einrichtung, Essen, Locations und den Hygge-Lifestyle. Es gibt sogar ein Print-Magazin Hygge – einfach glücklich sein, dessen 21ste Ausgabe kürzlich erschienen ist.
Natürlich gibt es auch diverse Youtube-Channels, in denen du z.B. lernen kannst, wie du deine Wohnung so einrichtest, dass sie einen hohen Hygge-Faktor hat: möglichst viele Naturmaterialien sollen es sein: Holz, Leinen, Bast, Keramik, Stein und Fell. So wenig Plastik, Metall und Glas wie möglich.
Hygge passt zu mir
Tief drinnen in mir fand dieses Thema sofort Resonanz. Ich wollte es damals direkt ganz hyggelig haben in unserer Wohnung und stellte fest: Wir brauchen mehr Teppiche! Gut, ich war damals schwanger mit unserem ersten Kind – vielleicht spielte da auch ein emotionaler Nestbautrieb mit rein. Wir kauften bis heute keine zusätzlichen Teppiche aber ich bin immer noch überzeugt: Wir brauchen sie!
Ebenso wie andere Lampen! Denn ich bin eine große Freundin des gedimmten Lichts. Mit stylischen, an bunten Kabeln von der Decke baumelnden Neon-Glühbirnen ohne Schirm kann man mich sehr gut aus jedem Zimmer jagen.
Und da schreibt Herr Wiking doch tatsächlich über konkrete Leuchtstärke-Werte, die nicht zu überschreiten sind, damit die Atmosphäre im Raum hyggelig ist! Spätestens da hatte er mich endgültig im Sack.
Er sagt, das Licht sollte immer so sein, dass deine Freunde beim Dinner schmeichelhaft beleuchtet werden und alle fabelhaft aussehen. Grelle Deckenlampen sind Pfui! Kaminfeuer und Kerzen dagegen Hui – hyggelig!
Hygge heißt, es sich einfach schön zu machen.
Mit der Betonung auf einfach. Es geht um die kleinen Dinge, manchmal nur Momente des bewussten Durchatmens und aus dem Fenster Schauens, mit Kakao in der Hand. Genuss aber in Maßen – Slowfood, selbst gemacht, am besten zusammen mit deinen Lieben. Wertschätzung pur.
Ist Hygge nur was für drinnen?
Hygge gewinnt besonders im Winter an Bedeutung. Immer dann, wenn es draußen ungemütlich ist, sehnen wir uns drinnen nach Wärme und Glücksmomenten. Man könnte meinen: Hygge ist eine Flucht nach drinnen.
Stimmt aber nicht. Herr Wiking beschreibt es explizit als Ganzjahres-Phänomen und widmet auch ein ganzes Kapitel dem, was er Outdoor-Hygge nennt. Hütten, Boote und die freie Natur sind großartige Plätze, um Hygge zu erleben. Die Nähe zur Natur ist hier ein Faktor, der über Einfachheit, Langsamkeit und Rustikalität besonders gut zu Hygge führt. Auch im Hygge Magazin nennt sich eine der vier großen Kategorien Draußen sein.
Bei Hygge geht es um das einfache Glück. Betont wird das Hier und Jetzt, die Wertschätzung des Moments und der Umgebung. Es wirkt für mich wie ein Rezept, um Stress, Trostlosigkeit, Geschwindigkeit, Einsamkeit und Künstlichkeit heilsam zu begegnen. Hygge ist irgendwie back to the roots.
Quelle: Wiking, M.: „Hygge – Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht“, Lübbe, 2016“